TagBudget

Nein, wir müssen uns keine Gedanken machen…

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Die Budgetpläne der österreichischen Regierung haben die Wogen hochgehen lassen. Was sie konkret für die Situation von Frauen in Österreich bedeuten, darüber hat sich meine Studienkollegin und Gender-Expertin Betina Aumair Gedanken gemacht:

… über die laufende Budgeterstellung. Denn es wird nicht gespart an allen Ecken und Enden, sondern nur dort, wo es „sozial verträglich“ ist (SPÖ-Finanzstaatssekretär Schieder im Standard-Interview vom 24.10.2010). Auch weil sich so manche Politikerin und so mancher Politiker klar darüber sind, dass das Sparen „nicht alle happy macht“ (ebd.).

Nein, es macht nicht alle happy, im Gegenteil, vor allem deshalb nicht, weil es wieder einmal als sozial verträglich gilt, dort zu sparen, wo es in erster Linie Frauen trifft, nämlich im Pflege- und sogenannten Familienbereich. Jene Aussage, dass im Pflegebereich nicht gespart werde, sondern lediglich (!) der Zugang zum Pflegegeld der Stufe 1 und 2 „nur eine Spur erschwert“ (ebd.) werde, ist – milde ausgedrückt – Verhöhnung. Denn was außer Sparen bedeutet es, den Zugang zu monetären Transferleistungen so zu erschweren, dass im kommenden Jahr 17 Mio. Euro und bis zum Jahr 2014 insgesamt 142 Mio. Euro weniger ausgegeben werden müssen?

Diese Einsparungen werden zur Folge haben, dass sich noch weniger pflegebedürftige Menschen mobile Hilfsdienste (Essen auf Rädern, Hauskrankenpflege usw.) leisten können. Schon jetzt nimmt nur ein Viertel der Pflegegeld-BezieherInnen mobile Dienste in Anspruch. Die Hälfte der Nicht-InanspruchnehmerInnen gibt an, dass der Grund die mangelnde Finanzierbarkeit sei (Frauenbericht 2010).

Das Pflegegeld der Stufe 1 und 2 stellt mit 154,2 Euro bzw. 284,3 Euro pro Monat keine vollständige Abdeckung pflegebedingter Mehraufwendungen dar. So soll es auch nicht sein:

Das Pflegegeld stellt eine zweckgebundene Leistung zur teilweisen Abdeckung der pflegebedingten Mehraufwendungen und daher keine Einkommenserhöhung dar. Da die tatsächlichen Kosten für die Pflege das gebührende Pflegegeld in den meisten Fällen übersteigen, kann das Pflegegeld nur als pauschalierter Beitrag zu den Kosten der erforderlichen Pflege verstanden werden. Es ermöglicht den pflegebedürftigen Menschen eine gewisse Unabhängigkeit und einen (längeren) Verbleib in der gewohnten Umgebung (zu Hause).“ (help.gv.at)

Es stellt sich hier die Frage, warum das Pflegegeld nicht ein kostendeckendes sein kann? Warum den pflegebedürftigen Menschen nicht nur eine gewisse sondern eine vollständige Unabhängigkeit und trotzdem den Verbleib in der gewohnten Umgebung ermöglichen? Die Antwort ist nicht neu und liegt auf der Hand: Warum mehr Geld für Pflegedienste ausgeben, gibt es doch die Frauen, die das unentgeltlich machen. 2006 wurden 3,3 Mrd. Euro für die Pflegevorsorge ausgegeben (Frauenbericht 2010). Schätzungen gehen davon aus, dass die Kosten für die informelle Pflege, die mehrheitlich von Frauen erledigt wird, mit 3 Mrd. Euro zu beziffern sind (ebd.). Das bedeutet, dass sich der Staat mit jenen Menschen, die diese informelle Pflege leisten, die Kosten teilt.

Pflegedienste zu leisten, bedeutet in vielen Fällen das Aufgeben der Erwerbstätigkeit. Weniger als ein Drittel jener Menschen, die Angehörige pflegen, ist erwerbstätig. Vor der Übernahme der Pflege waren es etwas mehr als die Hälfte. Etwa die Hälfte der pflegenden Angehörigen hat kein Einkommen bzw. ein Monatseinkommen von unter 700 Euro netto. Von jenen, die über kein bzw. über weniger als 700 Euro netto Einkommen verfügen, sind 91 % Frauen (Frauenbericht 2010). Rund 56 % aller PflegegeldbezieherInnen sind in den Stufen 1 und 2 zu verzeichnen (Statistik Austria).

Im Familienbereich, der in Wirklichkeit ein Frauenbereich ist, da beinahe sämtliche Maßnahmen unmittelbare Auswirkungen auf Frauen, jedoch kaum welche auf Männer haben, soll beim Ausbau der Kinderbetreuungsplätze gespart werden.

2009 lag die Betreuungsquote in Kindertagesstätten der 0- bis 2-jährigen Kinder bei 15,8 %, jene der 3- bis 5-jährigen bei 88,5 % und jene der 5- bis 9-jährigen bei 15,4 % (Statistik Austria). Hand in Hand mit der Kinderbetreuungsquote in Kindertagesstätten geht jene der Erwerbstätigkeit bzw. Nichterwerbstätigkeit der Frauen. Bei Kindern unter 3 Jahren ist bei über zwei Drittel der Paare die Frau nicht aktiv erwerbstätig, sondern zu Hause. Bei weiteren rund 20 % ist die Frau auf Teilzeitbasis erwerbstätig. Die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren erfolgt also beinahe ausschließlich durch die Mütter. Erst wenn das jüngste Kind bereits 15 Jahre oder älter ist, sind die Anteile jener Paare, bei denen die Frau Teilzeit und der Mann Vollzeit arbeitet und jener Paare, bei denen die Frau und der Mann vollzeiterwerbstätig sind, wieder annähernd gleich hoch.

Müssen wir uns wirklich keine Gedanken machen?

Doch, vor allem darüber, was diese Maßnahmen im Pflege- und Familien- bzw. Frauenbereich für Frauen und Männer und das Verhältnis zwischen ihnen bedeutet:
Es bedeutet, dass sich noch weniger pflegebedürftige Menschen mobile Hilfsdienste leisten können und diese von Frauen übernommen werden müssen.
Es bedeutet, dass noch weniger Frauen erwerbstätig sein können um die Pflege der Angehörigen übernehmen bzw. um Kinder betreuen zu können.
Es bedeutet, dass noch mehr Frauen, die weiterhin erwerbstätig bleiben, einer noch größeren Belastung ausgesetzt werden.
Es bedeutet, dass der Staat wieder einen Teil seiner Aufgaben als Sozialstaat in den Privatbereich auslagert.
Es bedeutet, dass Frauen wieder einmal verstärkt an das Haus bzw. die Aufgaben im Haus gebunden werden und die Welt draußen verstärkt von Männern gestaltet werden kann.
Es bedeuet, dass Männer weiterhin unabhängig von jeglicher Familienplanung ihrer Lebensgestaltung nachgehen können.

Es bedeutet, dass Frauen nach wie vor Karriereeinbrüche hinnehmen müssen um Kinderbetreuungspflichten übernehmen zu können.
Es bedeutet, dass Frauen nach wie vor schlecht bezahlte Arbeiten und prekäre Arbeitssituationen in Kauf nehmen um zumindest in irgendeiner Form neben der Kinder- oder/und Pflegebetreuung erwerbstätig sein zu können.
Es bedeutet, dass Männer nach wie vor auf Kosten der Frauen einer Karriere nachgehen können.
Es bedeutet, dass sämtlichen Gleichstellungsversuchen von Frauen und Männern noch einmal mehr das Wasser abgegraben wird.
Es bedeuet, dass der Weg für Frauen zur Gleichstellung noch ein Stückchen länger, steiler und steiniger geworden ist.
Es bedeutet nichts Neues.
Es bedeutet, dass das Private doch politisch ist.

Gastbeitrag von Betina Aumair

Armutszeugnis

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Vergangene Woche präsentierte die Regierung das frisch verhandelte Sparbudget, das den Weg des geringsten Widerstands repräsentiert und jegliche bildungs- und frauenpolitische Vision missen lässt. Auch wenn die Erhöhung von Massensteuern wie der Mineralöl- und der Tabaksteuer vorübergehend für Ärger in der Bevölkerung sorgen wird, lässt der Wegfall der Familienbeihilfe ab 24 wohl die meisten Österreicherinnen und Österreicher kalt.

Unter dem Titel „Eine verwöhnte Generation“ schreibt Kurt Seinitz in der „Kronen Zeitung“: „So meldet eine verwöhnte Generation ihre Ansprüche: Sie will den Eltern und den Steuerzahlern bis zum 26. Lebensjahr auf der Geldtasche liegen. Deren Eltern und Großeltern mussten ihr Studium noch durch Arbeit verdienen (so sie nicht mit dem goldenen Löffel im Mund auf die Welt kamen).“

Dass unsere Großeltern ohne den berüchtigten goldenen Löffel meist erst gar nicht eine Universität von innen zu sehen bekamen, vergessen Seinitz und seine Kronen-Gemeinde. So sind es wieder einmal (fast) nur die „rebellischen Studierenden“, die sich gegen das wehren, was seit der schwarz-blauen Wende konsequent vorangetrieben wird: die soziale Selektion im Bildungssektor. Und das, obwohl zahlreiche Studien Österreich immer wieder eine „Vererbung“ von Bildungsstandards attestieren: Immer weniger Studierende ohne akademisch gebildetes Elternhaus schließen ein Studium ab.

Aufgrund der Änderungen bei Familienbeihilfe und Waisenpension werden sich diese Bedingungen künftig verschärfen. Wer neben dem Studium arbeiten muss, hat weniger Zeit – für allem für Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht. Seminare für Berufstätige am Abend oder Wochenende sind rar gesät, zugleich wird berufliche Erfahrung zum Zeitpunkt des Studienabschlusses immer wichtiger für die Personalchef_innen im Lande. Nebenjobs sind zudem heiß umkämpft und häufig schlecht bezahlt. Sechs Euro pro Stunde sind durchaus üblich, mit acht oder neun Euro Stundenlohn fühlen sich viele bereits privilegiert.

Das Uni-Budget wird nun zwar aufgestockt, in Wahrheit werden mit den zusätzlichen Geldern jedoch nur klaffende Löcher gestopft – mit einem verbesserten Betreuungsverhältnis kann etwa kaum gerechnet werden. Hat man/frau nun eine berufsbildende Schule absolviert und auch noch im Oktober Geburtstag, bleiben vier Jahre übrig, in denen mit Familienbeihilfe, Waisenpension und Mitversicherung bei den Eltern studiert werden kann. Das neue Bachelor-Master-System sieht aber 10 Semester (also fünf Jahre) Mindeststudiendauer vor, überfüllte Lehrveranstaltungen und fehlende Masterarbeits-Betreuer_innen erschweren eine rasche Absolvierung des Studiums zudem erheblich.

Hier wird also der Studienabbruch mit allen Kräften unterstützt, ebenso eine soziale Selektion bei den Masterstudien. Wer sich in einer prekären finanziellen Situation befindet, beschränkt sich künftig einfach auf den Bachelor-Abschluss. So stellen sich das die verantwortlichen Regierungsmitglieder offensichtlich vor.

Was im neuen Budget ebenso fehlt, sind zusätzliche Investitionen in Kinderbetreuungseinrichtungen. Wenn es schon Kürzungen im Bereich der (durchaus umstrittenen) Familien-Finanzierung gibt, so sind Ausbau und Qualitätsoffensive (siehe Ausbildung von Pädagog_innen) im Bereich der Kinderbetreuung (bzw. -förderung!) notwendige und logische Schritte. Frauenministerin Heinisch-Hosek zeigt sich in einer Aussendung dennoch mit dem Budget zufrieden. Es sei gelungen, die Familienhilfe zumindest bis zum 24. Lebensjahr „abzusichern“. Mehr als Schadensbegrenzung dürfen sich die Wählerinnen und Wähler von der österreichischen Sozialdemokratie offensichtlich nicht (mehr) erwarten.

Die österreichische HochschülerInnenschaft ruft zur Demonstration gegen die Familienbeihilfekürzung auf:

Wien: Donnerstag, 28. Oktober, Treffpunkt 16 Uhr vor der Universität, Schlusskundgebung 18 Uhr am Stubentor
Graz: Treffpunkt 16 Uhr vor der Universität
Salzburg: 16.30 Uhr am Morzartplatz
Linz: 17.30 Uhr im Volksgarten
Klagenfurt: Bus von Klagenfurt nach Wien, Treffpunkt 10 Uhr vor der Universität

Link zur ÖH

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