CategoryLiteratur-Tipp

Lesestoff

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Ich habe gerade viel Zeit zum Lesen. Nun gut, Arbeit wartet auch eine Menge auf mich, aber aufgrund meines Gipsverbands fallen Dinge wie ausgedehnte Spaziergänge oder Tanzabende erst mal flach. In den vergangenen Wochen habe ich drei Bücher gelesen, die so unglaublich gut sind, dass ich sie mit euch teilen muss. Vermutlich kennen sie die meisten meiner Leser_innen schon – es handelt sich zum Teil um echte Klassiker -, dennoch hier die Titel:

Maja Haderlap: Engel des Vergessens
Die Theaterwissenschafterin und Kärntner Slowenin hat 2011 mit ihrem Debütroman den Bachmann-Preis gewonnen. In „Engel des Vergessens“ erzählt sie die Geschichte ihrer Kindheit und jene der Kärtner Slowen_innen während des 2. Weltkriegs. Rezensionen lest ihr am besten hier, hier oder hier. (Empfohlen hat mir dieses Buch Ulli Koch)

Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer
„Wie kommt das Salz ins Meer“ erschien 1977 und verkaufte sich im deutschsprachigen Raum über 500.000 Mal. Ein zeitloser Bestseller, in dem die Protagonistin von ihrem „provinziellen, biederen Elternhaus“ und der „nicht weniger provinziellen bürgerlichen Ehe“ erzählt. „Auf amüsante Weise vernichtend, sozialkritischer, als absichtsvolle Sozialkritik jemals sein könnte“, schreibt Friedrich Torberg über das Buch. Schwaiger verstarb 2010, ein Porträt der Schriftstellerin könnt ihr hier lesen.

Ruth Klüger: Weiter leben. Eine Jugend
Die Literaturwissenschaftlerin erzählt von ihrer Kindheit in Wien während der NS-Zeit, von der Zeit in den Vernichtungslagern und dem Weiterleben danach und beleuchtet das Verdrängen und Vergessen, die Sinnlosigkeit und die „Erinnerungskultur“. Pflicht-Lektüre! Renata Schmidtkunz hat „Das Weiterleben der Ruth Klüger“ verfilmt.

 

Wie neoliberal sind Feminismen?

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„Diese Fragmentierung der feministischen Kritik führte zur selektiven Eingliederung, zur partiellen Reintegration einiger ihrer Strömungen. Abgetrennt voneinander und von der Gesellschaftskritik, die sie miteinander verbunden hatte, wurde so manche Hoffnung der Neuen Frauenbewegung in den Dienst eines Projekts gestellt, das unserer größeren, ganzheitlichen Vision der gerechten Gesellschaft zutiefst widersprach. Utopische Wünsche entwickelten eine Art Doppelleben, als Stimmungslagen, die den Übergang zu einer neuen Kapitalismusform legitimieren halfen: zu einem postfordistischen, transnationalen, neoliberalen Kapitalismus“, schreibt Nancy Fraser in „Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte“ und analysiert die „gefährliche Liebschaft“ zwischen Feminismen und Neoliberalismus.

Dazu passend empfehle ich auch einen Text von Elisabeth Klaus: Antifeminismus und Elitefeminismus – eine Intervention. Und: „Attacken auf einen abwesenden Feminismus“ von Frigga Haug.

Gewalt und Handlungsmacht

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Vor Kurzem ist der Sammelband „Gewalt und Handlungsmacht. Queer_Feministische Perspektiven“ erschienen, der vom Gender Initiativkolleg herausgegeben wurde und auf einer Ringvorlesung basiert, die 2011 an der Uni Wien abgehalten wurde. Die Autor_innen setzen sich mit aktuellen queer_feministischen Debatten rund um Gewalt, Gewaltbegriffe und Agency auseinander und geben einen Einblick in die verschiedenen Forschungsfelder ihrer wissenschaftlichen Disziplinen bzw. Arbeitsbereiche. Besonders positiv ist mir aufgefallen, dass die einzelnen Beiträge nicht nur nebeneinander stehen, sondern die Autor_innen sich aufeinander beziehen, sich widersprechen und ergänzen, wodurch (produktive) Konflikte und die Komplexität des Themenfeldes sichtbar gemacht werden. Diesbezüglich stellt das erste Kapitel, „Kritische Perspektiven auf innerfeministische Machtverhältnisse“, einen gut gewählten Einstieg dar. In vier Beiträgen werden Auseinandersetzungen rund um die Intersektionalitätstheorie und analytische Kategorien sowie das (Nicht-)Thematisieren von Rassismus besprochen, wobei auch die eigenen Bedingungen der Wissensproduktion und akademische Strukturen innerhalb des Initiativkollegs thematisiert werden.

„Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Gewalt angemessen begreifen, ohne gewaltförmige Ausschlüsse zu produzieren? Und wie können sich Feminismen gegenüber einer anti-feministischen Instrumentalisierung der eigenen Ideen verhalten?“, diese Fragen stehen im Zentrum der fünf Kapitel. Beleuchtet werden unter anderem Migrationsdiskurse in Politik und Wissenschaft (Gewalt von Diskursen über Migration und Grenzen) ebenso wie eine Konstruktion des „kulturellen Anderen“ im Zusammenhang mit Gewaltverhältnissen und der (feminisierte) „Opfer“-Begriff.

Obwohl der Rahmen insgesamt wohl etwas zu weit gesteckt wurde und Beiträge wie jene über Anorexie (trotz interessanter Perspektiven) aus meiner Sicht nicht unbedingt zum Fokus des Buches passen, liegt die Stärke des Sammelbandes in den unterschiedlichen analytischen Zugängen: „Uns geht es darum, mit Blick auf aktuelle Entwicklungen die Schwierigkeiten und Fallstricke einer allgemeingültigen Gewaltdefinition aufzuzeigen.“ Die einzelnen Texte erfordern durchaus mehr oder weniger fundiertes Vorwissen, aber auch Einsteiger_innen werden interessante Anregungen mitnehmen können.

Link: Das Gender Initiativkolleg auf der Website der Uni Wien
Konferenz am 6. und 7. Dezember 2012: „Violence and Agency. Controversies and Confrontations

Verlinkt

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In der Zeit ist ein Artikel über aktuelle feministische Bewegungen erschienen („Von Amazonen und Schlampen„), der für Ratlosigkeit und Verärgerung unter feministischen Bloggerinnen gesorgt hat. Kommentare dazu findet ihr auf der Mädchenmannschaft, bei sanczny und bei den Fuckermothers.

Lesetipp: Die aktuelle Ausgabe der aep Informationen (Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft) widmet sich dem Thema „Migrantinnen im Diskurs“ und kann hier bestellt werden. Einige interessante Beiträge: Denkwerkstatt-Bloggerin Betina Aumair schreibt über Empowerment-Rhetorik und Paternalismus, an.schläge-Redakteurin Vina Yun über „F.A.Q. Zweite Generation“. Interessante Beiträge zum Thema Migration gibt es außerdem online auf Migrazine.at.

Anita Sarkeesian von Feminist Frequency hat eine Video-Serie zu „Tropes vs. Women in Video Games“ angekündigt und ihr Projekt auf der Plattform „Kickstarter“ zur Finanzierung eingereicht. Die Reaktionen: ein eklinger Shitstorm – Beschimpfungen, Bedrohungen und auch ihr Wikipedia-Eintrag wurde verunstaltet. Anita hat das Ganze öffentlich gemacht, um zu zeigen, womit Feministinnen im Netz konfrontiert sind. Die gute Nachricht: Ihr Projekt wurde von unglaublich vielen Menschen unterstützt, Links zu Artikeln darüber findet ihr hier.

Am Wochenende fand in Wien die 17. Regenbogenparade statt. Links zu Berichten und Fotos findet ihr bei der HOSI Wien.

Save the date: Von 19. bis 22. September findet in Wien die FrauenSommerUni statt. Das Programm wird im Juli bekannt gegeben.

Frauenspaziergänge durch Wien

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Erwachsenenbildnerin und Kulturvermittlerin Petra Unger führt  schon viele Jahre durch Wien und macht die oft ausgeblendete und „vergessene“ Geschichte von Frauen sichtbar. Ihre Frauenspaziergänge durch verschiedene Wiener Gemeindebezirke und Grätzel sind nun auch als Buch im Metroverlag erschienen. Dabei handelt es sich um keinen klassischen Stadtführer, sondern ein „Lesebuch“ entlang der beschriebenen Routen. Und auf diese Wege sollte mensch sich begeben: „Es ist wichtig, ‚vor Ort‘ zu gehen, die Stadt mit einem anderen Blick zu sehen und mit anderen Bildern, anderen Geschichten, anderen Werten zu verbinden. Es verändert den eigenen Bezug zur Stadt, auch den Bezug zu sich selbst und zur eigenen Geschichte“, schreibt Petra Unger.

So erfährt mensch, warum die Geschichte der Wiener Oper eine Geschichte des Ausschlusses ist, was der „Wiener Frauenklub“ gemacht hat, welchen Raum Sexarbeiterinnen in der Stadt einnehmen und wofür Marianne Hainisch gekämpft hat. Am Ende eines Spaziergangs werden außerdem Lokale und Restaurants empfohlen, „die gute Qualität bieten, von Frauen geführt oder von Frauen sehr gerne frequentiert werden.“

 

Wer sich nicht alleine auf den Weg machen möchte, kann auch an einem Stadtspaziergang mit Petra Unger teilnehmen. Im Frühling/Sommer bietet sie Spaziergänge zum Buch an („Vielfalt der Frauenleben“, „Frauen werden sichtbar“, „Schauspielerinnen und Frauenräume“, „Von der Josefstadt nach Ottakring“ und „Frauen und Soho in Ottakring“), alle Termine findet ihr auf der Website (12 Euro pro Teilnehmer_in).

 

Lesestoff

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Erfreulicherweise werden Bücher, Studien und Tagungsberichte immer häufiger online zum Download bereitgestellt. Hier einige wissenschaftliche und andere Fundstücke der vergangenen Wochen, die euch interessieren könnten.


Schlagzeile in der „über:morgen“ 

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat in der Reihe der Schriften des Gunda-Werner-Instituts vor kurzem den Sammelband „Die antifeministische Männerrechtsbewegung – Denkweisen, Netzwerke und Onlinemobilisierung“ herausgegeben: „Feministische Blogs, Blogs für Geschlechterdiskurse, Foren der emanzipatorischen Männerbewegungen und Männerpolitiken – all diese Plattformen wurden in den vergangenen Jahren wiederholt von antifeministischen Männerrechtler_innen angegriffen. ‚Hate Speeches‘ (koordinierte Hasstiraden in mehreren Foren) gegen einzelne Aktivist_innen und Forscher_innen und die Stilisierung DER Männer als Opfer von ‚lila Pudeln‘ und ‚männermordenden Emanzen‘ gehören dabei zum Standard. Die Brisanz antifeministischer Ideologien, u.a. in der Diskussion um rechtes Gedankengut, wird auch in den Behauptungen des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik deutlich.“
Den Band findet ihr hier als PDF zum Download.

Ein Buch zu einem ähnlichen Thema ist 2010 in einer Reihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen.  „Was ein rechter Mann ist … Männlichkeiten im Rechtsextremismus“ setzt sich mit Männlichkeitskonstruktionen im rechtsextremen Milieu und angrenzenden Feldern auseinander. Den Sammelband findet ihr hier. Yves Müller, einer der Autoren, hat Maria Sterkl vom Standard vergangene Woche ein Interview gegeben (Kommentare unter dem Artikel besser nicht lesen).

Die 20000frauen haben bereits vor einigen Monaten die Fake-Zeitung „über:morgen“ produziert, in der auf sehr amüsante Weise mit Geschlechterklischees und medialen Plattheiten gespielt wird. Die Medienwissenschafterin Ulli Weish hat diestandard.at zu diesem Projekt ein lesenswertes Interview gegeben.

Die neue Ausgabe der an.schläge ist da. Thema: Orgasmus!

 

die ANDEREN bücher

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Verdauungsleukozytose war während meiner Schulzeit schon alleine wegens des Schultyps HBLA mit dem Schwerpunkt auf Ernährung ein wichtiges Wort. Sie ist vereinfachend gesagt, dafür verantwortlich, dass wir uns aufgrund zu hoher Nahrungszufuhr müde fühlen. Wo wir bei Weihnachten wären. Das Gehirn bekommt zu wenig Sauerstoff und schaltet ab.Vor ein paar Wochen habe ich bei Freud ein wichtiges Wort gelernt, dissoziieren. Dissoziation beschreibt eine Unterbrechung des integrativen Funktionieren der Wahrnehmung aufgrund traumatischer Erlebnisse. Wo wir ebenfalls bei Weihnachten werden. Verdauungsleukozytose und Dissoziation verführen uns dazu den Fernseher einzuschalten oder die oberösterreichsichen Nachrichten zu lesen. Daniel Haas geht im Feuilleton einer faz-Ausgabe dem Erfolgsrätsel von Bestsellerautoren [sic] nach und fragt sich  darin – angesichts jener Bücher, die Bestellerlisten anführen – was Leser [sic] dazu bringt, Narkose als ästhetische Erfahrung einzustufen. Berechtigte Frage. Vor allem weil es sie gibt, die ANDEREN Bücher:

Kein Ort. Nirgends habe ich 1977 geschrieben. Das war in einer Zeit, da ich mich selbst veranlaßt sah, die Voraussetzungen von Scheitern zu untersuchen, den Zusammenhang von gesellschaftlicher Verzweiflung in der Literatur.“ Christa Wolf  beschreibt in diesem Buch die Begegnung von Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist bei einer Teegesellschaft. „So sprechen, als wäre es der letzte Satz, der einem erlaubt wäre.“, fordert Elias Canetti. Christa Wolf schreibt so.

Der Report der Magd von Margaret Atwood.  Spannend. Ein dystopischer Roman, der der Frage nach geht, wer in der Zukunft die Körper der Frauen kontrollieren werde. „The Handmaid’s Tale is a novel of such power that the reader is unable to forget its images and its forecast.” (Washington Post Book World)

Orlando von Virginia Wollf. Darin lebt die Hauptfigur, Orlando, vom 16. bis ins 20. Jahrhundert,  und wechselt im Erwachsenenalter ihr Geschlecht. „Eine Romanbiographie, kunstvoll und höchst vergnüglich, denn Orlando ‚hatte eine Vielzahl von Ichs’. Eine Zeitreise durch vier Jahrhunderte, eine zauberhafte Verwandlungs- und Verkleidungskomödie voller Überaschungen.“ (Klappentext, Fischer Taschenbuch Verlag, 2007)

Die Welt der schönen Dinge von Simone de Beauvoir. „Mit Schärfe und Ironie schildert Simone de Beauvoir die Gesellschaft der Neureichen, in der Gefühle zu Werbespots werden. Die Menschen dieses Romans ersticken an den Lügen und Heucheleien der spätkapitalistischen Welt. beherrscht von Statussymbolen, von ‚schönen Bildern’.“ (Klappentext, rororo, 2008)

VIEL VERGNÜGEN!

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