ArchiveNovember 2016

Die Hose von Johanna Dohnal & Love Me Gender

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Aus aktuellem Anlass zwei Veranstaltungshinweise:

Aufräumen – Drei Frauen finden die Hose von Johanna Dohnal

„Das Grazer Theater im Bahnhof nimmt die Geschichte der früheren, feministischen SPÖ Politikerin Johanna Dohnal zum Ausgangspunkt für eine kritische Selbstbefragung und Bestandsaufnahme des Feminismus in Österreich. Aufräumen – Drei Frauen finden die Hose von Johanna Dohnal ist eine tiefsinnige, humorvolle und ehrliche Selbstreflexion, die herausfordert, die eigene Haltung zu überprüfen, und zeigt, dass die „Dohnalisierung der Republik noch längst nicht abgeschlossen ist“ (Kleine Zeitung). „Fundiert, pointiert, ironisch“ lobt die Jury des Bestoffstyria Preises das ausgezeichnete Stück.

Das Stück wird am 22. und 23. November um 20:00 Uhr im Veranstaltungszentrum der VHS in der Otto-Bauer Gasse gespielt.“ (Aus dem Pressetext)

Johannes Gellner
(c) Johannes Gellner

 

Ebenfalls noch aktuell: LOVE ME GENDER – Performing Feminisms
im großartigen KosmosTheater
Do, 3.11. – Sa, 26.11.

“Vier Wochen widmet das KosmosTheater heimischen und internationalen KünstlerInnen – von Newcomern bis Arrivierten – deren Arbeiten sich an den Schnittstellen zwischen gender politics, Forschung, zeitgenössischem Tanz, Musik, visueller Kunst, Installation und Theater bewegen. Im Fokus liegen unterschiedliche feministische Ansätze, künstlerisch und politisch kreative wie provokante Fragestellungen und das Interesse an Reibungsflächen.” (Aus dem Pressetext)

Warum „die Hausverstand“ nichts mit Feminismus zu tun hat

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Immer wieder ist er – Pardon, sie – mir in den vergangenen Wochen begegnet: Der REWE-Konzern hat eine neue Werbekampagne gestartet, „Die Hausverstand“ ersetzt bei Billa nun den einst mänllichen Darsteller.

Ein feministisches Statment? Ähm, nein.

Erst einmal sorgt eine neue Werbelinie für Aufmerksamkeit (wie unter anderem mein Blogeintrag beweist). Und dann wären da noch die KundInnen. Rund zwei Drittel Frauen kaufen bei Billa ein. Trotz steigender Berufstätigkeit (ja, rund 50 Prozent Teilzeit) erledigen Frauen in Österreich nach wie vor den Großteil der Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit. Sie tätigen also auch die regelmäßigen Einkäufe im nächstgelegenen Supermarkt.

„Frauen würden eben eher Attribute wie Nähe, Achtsamkeit, Intuition und Leichtigkeit verkörpern“, sagt das Management. Und abseits dieser Geschlechterstereotype hat die Marktforschungsabteilung vielleicht auch herausgefunden, dass sich immer weniger Kundinnen von einem Mann um die 50 angesprochen fühlen, der ihnen erklärt, was beim Einkauf zu beachten ist.

Klassisches Gender-Marketing also.

Im neuesten Spot erklärt die Hausverstand, dass Frauen heute alles wollen: Erfolg im Beruf, Familie, Zeit für die Freunde. Um das alles in den Griff zu bekommen, eilt Billa zur Hilfe: Lebensmittel können jetzt auch online bestellt werden. Wir sehen: die Botschaft ist dann doch mehr eine reaktionäre als eine feministische. Dass auch der REWE-Konzern auf der Führungsebene männlich dominiert ist, muss da keineswegs als Widerspruch gelesen werden: Wahrscheinlich haben einfach noch nicht genug Frauen herausgefunden, wie die Sache mit der Vereinbarkeit effizient zu regeln ist. Online fürs Abendessen einzukaufen wäre da mal ein erster Schritt.

Play Gender

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Ich habe auf diesem Blog schon lange kein Buch mehr vorgestellt – ein Rezensionsexemplar, das vor Kurzem bei mir gelandet ist, bietet mal wieder die Gelegenheit dazu. Aus Gründen der Transparenz muss gesagt werden, dass die Herausgeberin meine an.schläge-Kollegin Fiona Sara Schmidt ist, dennoch wird meine Besprechung keine gefärbte sein (Meine Voreingenommenheit beschränkt sich darauf, dass ich Sara als eine kluge Journalistin/Literaturwissenschafterin und eine absolute Pop/Kultur-Auskennerin schätze).

„Play Gender“ ist im Sommer beim deutschen Ventil Verlag (Hg. v. Fiona Sara Schmidt, Torsten Nagel und Jonas Engelmann) erschienen, hier ein kleiner Auszug aus dem Pressetext zum Sammelband: „Was passiert, wenn Theorie auf popkulturellen Alltag trifft? Wenn linke Aktivist_innen sich mit Feminismus und Queer Theory auseinandersetzen? Wie können feministische Konzepte in der Praxis genutzt werden – beim Veranstalten von Konzerten, dem Dreh emanzipatorischer Filme, der Organisation von Partys oder im Alltag?
»Play Gender« stellt aktivistische, (queer-)feministische Ansätze und Interventionen im popkulturellen und im politischen Feld vor“.

Das Buch bietet also einen Mix aus ganz unterschiedlichen Texten: mehr und weniger bekannte Musikerinnen berichten in Kurzinterviews über ihr (Arbeits-)Leben und ihre queer-feministischen Positionen, Aktivist_innen reflektieren ihr eigenes politisches Tun, Autor_innen beleuchten Felder der Kulturarbeit und des Zusammenspiels von Theorie und Praxis. (Warum „Feminismus“ und „Linke Praxis“ zwei getrennte Kapitel sind, ist mir nicht ganz klar geworden.)

Ganz grundsätzlich bin ich mittlerweile keine Freundin von Sammelbänden mehr, da sie oft etwas versprechen, das dann nicht eingelöst wird und die Texte kaum in einem Zusammenhang stehen. „Play Gender“ hat mir dennoch viel Freude gemacht: Die Vielfalt der Texte und Zugangsweisen wird auf den ersten Blick deutlich, der transparent gemachte persönliche Zugang der Autor_innen zu ihrem Thema sowie das Einflechten biografischer Bezüge zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Die einzelnen Texte ergänzen sich nicht nur, sie widersprechen sich zum Teil auch – was  die Lektüre noch reizvoller macht.

In Sachen Kulturarbeit liegt der Schwerpunkt klar auf dem Musikbusiness, was meinem persönlichen Interesse durchaus entgegenkommt. Und in kaum einem anderen Feld tut sich wohl eine derartige Widersprüchlichkeit auf, was Geschlechterverhältnisse betrifft: Frauen* dominieren als internationale gefeierte Stars das Pop-Business, zugleich wird ein Mädchen, das zu Schlagzeug oder E-Gitarre greift, noch immer schief angeschaut. „Während meiner musikalischen Laufbahn als Schlagzeugerin haben Tontechniker überrascht reagiert als sich herausstellte, dass ich weder Sängerin noch Keyboarderin, sondern Schlagzeugerin bin“, berichtet beispielsweise Laura Landergott (Ja, Panik).

Die in feministischen Kreisen vermutlich vielen bekannte Sarah Diehl erzählt in ihrem unglaublich spannenden Text von der Geschichte ihres Pro-Choice-Aktivismus und dem Filmemachen und legt dabei offen, wie sie das Ganze (z.B. einen in zwei Ländern gedrehten Dokumentarfilm über den Schwangerschaftsabbruch) überhaupt finanzieren konnte. Meine ehemalige an.schläge-Kollegin und jetzige Missy-Redakteurin Vina Yun bietet ihn ihrem Beitrag „Crying at the Discoteque. Alternativen zum Status quo der Clubkultur“ wie gewohnt eine messerscharfe und kluge Analyse, ein ordentliches Paket an Vorwissen in Sachen Subkultur, elektronischer Musik und Cultural Studies wäre aber ganz nützlich für das Verständnis des Textes (Ich gebe zu, ich bin nicht gerade Expertin in Sachen Pop- und Clubkultur, ich stehe da eher am anderen Ende des Spektrums). Sookee arbeitet sich indes an der „heterosexistischen Kackscheiße im Rap“ ab und bringt auf nur vier Seiten treffend die Problematik rund um die sogenannten „Rüpel-Rapper“ auf den Punkt.

In Sachen Aktivismus finden sich mehrere äußerst lesenswerte Texte im Sammelband, etwa „Slutwalk – keine Angst, keine Schuld, keine Scham“ von Ina Klären und Anne-Carina Lischewski. Politische Projekte zu dokumentieren und rückblickend zu reflektieren finde ich gerade im feministischen Kontext eine ganz zentrale Aufgabe – feministische Geschichtsschreibung lebt mit wenigen Ausnahmen immerhin nach wie vor von ehrenamtlichem Engagement, kleinen Archiven und alternativen Verlagen, Blogger_innen und feministischen Alternativmedien. In „Play Gender“ sind es hauptsächlich in Deutschland verortete Intiativen, die mit einem Beitrag vertreten sind, unter anderem linksradikale Gruppierungen, deren positive Bezugnahme auf militante Aktionen Widerspruch gebraucht hätte. Eine Ausnahme ist das Wiener Kollektiv _tastique, das über ihr „Nach dem Ladyfest“-Festival berichtet. (Übrigens bemerkenswert, dass bei diesem theoretisch gut unterfütterten Projekt Klasse/Klassismus scheinbar überhaupt keine Rolle spielte).

Auch Männerbewegungen sind Teil des Feminismus-Kapitels, Andreas Kemper liefert eine Geschichte der profeministischen Männerbewegung, ein bereits 2010 geführtes Interview mit dem Soziologen Sebastian Scheele ist nach wie vor brandaktuell (und wie ich finde hätte man nicht besser auf die teilweise seltsamen Fragen antworten können). In Sachen Netzfeminismus hätte ich mir mehr erwartet, der einzige (kurze) Beitrag dazu im Buch bietet nur einen sehr allgemein gehaltenen Überblick über Facetten des Themas.

Und dann wäre da noch ein Beitrag zu „(Queer-)Feminismus und Universitätsbetrieb“, auf den ich mich sehr gefreut habe – und der mich leider enttäuscht hat. Als Person, die zunehmend selbst immer größere Probleme mit dem (klassistischen) Uni-Betrieb und seinen spezifischen ungeschriebenen Gesetzen hat (in den Gender Studies schaut das auch nicht wirklich anders aus), bin ich stets auf der Suche nach kritischen Betrachtungen von „innen“. Vojin Saša Vukadinović schießt mit seiner Kritik an den Gender Studies aber weit über das Ziel hinaus und reiht sich fast schon in den Kanon jener ein, die den Gender Studies die Wissenschaftlichkeit gänzlich absprechen.

Zusammengefasst bleibt nur zu sagen: Nehmt das Buch in die Hand!

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PS. Eine gute Alternative zu Amazon ist euer Buchladen um die Ecke, besonders der feministische Buchladen! (Wien: ChickLit)

 

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