Schmerzensangelegenheiten

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Gastbeitrag von Beora Gogulka und Andrea Hrastnik, Studentinnen an der Uni Klagenfurt

Anfang des Jahres wühlte der Artikel „Schmerzensmänner“ im Feuilleton der „Zeit“ den Diskurs um die Definition von Männlichkeit und Weiblichkeit erneut auf. Die Journalistin Nina Pauer erregte so manche Gemüter, indem sie behauptete, dass sich Männer der Gegenwart in einer „Identitätskrise“ befinden und zu melancholischen, hyperreflektierten, ratlosen „Schmerzensmännern“ verkommen sind.

Der „neue Mann“ sei laut Pauer „falsch abgebogen“ und habe seine „Rolle verloren“. Sie beklagt, dass sein ‚verkopftes Verhalten‘ es fast zu einer Unmöglichkeit macht, sich von ihm angezogen zu fühlen. Er sei zu verweichlicht, unsicher, wisse nicht mehr, wie und wann man(n) eine Frau erobern muss. Christoph Scheuermann erklärt auf „Spiegel-Online“, Frauen seien an dieser vermeintlichen Misere „selber schuld“. Immerhin wollten sie doch Männer, die zuhören können und sich für ihre Gefühle interessieren. Als Antwort auf die „Schmerzensmänner“ von Pauer definiert er Frauen von heute als „Optimier-Frauen“, welche „alles und jeden optimieren“ wollen. Frauen wissen nicht, was sie wollen, nur, was sie nicht wollen.

BRIGITTE-Redakteurin Nikola Haaks erfreut sich daran, noch das „Vorgängermodell“ des überreflektierten Schmerzensmannes – den „Macho 2.0“ – zu haben. Dieses ‚Modell‘ mache sich zwar schon Gedanken, reflektiert jedoch, wie Pauer es beschreibt, eine Beziehung nicht „zu Tode“. Mit gefühlsbetonten Unterhaltungen und „Psychogelaber“ erreiche man beim Macho 2.0 nichts und damit müsse man sich laut Haaks einfach abfinden. Die richtige Bedienung des Modells „Macho 2.0“ sei der Schlüssel zu einer glücklichen Beziehung.

Was allen Ausführungen gemein ist – sie pauschalisieren, reduzieren und stereotypisieren. Es ist die Rede von „Rollen“, dem „Geschlechterspiel“ und der „Krise der Männlichkeit“. Männer und Frauen werden in Typen eingeteilt, Menschen auf wenige Eigenschaften reduziert und es werden ihnen stereotype Attribute zugeschrieben. In dieser Art definiert Stuart Hall den Begriff „stereotypisieren“ – die Reduktion auf einige wenige Charakteristika, welche zudem noch als natürlich repräsentiert werden.

Auffallend ist, dass individuelle Erfahrungen der jeweiligen AutorInnen verallgemeinert und nicht als eigene Erkenntnis und Meinung gekennzeichnet werden. Gleichgültig ob Pauer, Haaks oder Scheuermann – alle sprechen sie von unterschiedlichen ‚Modellen’ und geben Patentrezepte für den Umgang mit diesen, als wären Menschen Objekte, die man nur richtig händeln müsse. Sie alle gehen von einer homogenen Masse von Frauen bzw. Männern aus, wodurch die Individualität von Menschen außer Acht gelassen wird. Persönlichkeit, Verhaltensweisen, Begehren – alles wird an das biologische Geschlecht geknüpft. Diese vereinfachte, undifferenzierte Betrachtungsweise einer sehr komplexen Thematik wird der heutigen Zeit – in der immer mehr Platz für individuelle Lebensentwürfe sein sollte – nicht gerecht. Welchen Nutzen hat es, Menschen in Typen einzuteilen und sie zu charakterisieren, als gäbe es nur DIE eine Frau und DEN einen Mann und nur DIE eine Weiblichkeit und DIE eine Männlichkeit?

„[G]erade das Heraufbeschwören einer Krise impliziert die Vorstellung eines stabilen Konzepts männlicher Identität, das es aufrechtzuerhalten und gegen äußere Widerstände zu verteidigen gelte“, hält Brigitte Theißl in einem Artikel in „an.schläge“ unserer Meinung nach richtig fest. Pauer, Haaks und Scheuermann diskutieren in ihren Artikeln, was einen Mann zum Mann macht und postulieren damit, dass es eine richtige/normale bzw. falsche/abnormale Männlichkeit gibt. Haaks geht zum Beispiel mit Reinhard Fendrich d’accord, der 1988 den Macho besingt: „Macho Machos, bleiben in Mode, Macho Machos, sterben net aus“. Auch Pauer meint, alle Frauen wünschen sich einen starken Mann zum Anlehnen, der nicht ständig über seine Gefühle schwafelt, sondern den ersten Schritt macht, ohne darüber nachzudenken. Es werden traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit – aktiv vs. passiv, ‚starkes Geschlecht’ vs. ‚schwaches Geschlecht’, Emotion vs. Vernunft usw. – (re)produziert.

Die Artikel spiegeln somit das wider, was in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, beispielsweise von Judith Butler, als das heteronormative System aufgedeckt wurde. Nina Degele fasst Heteronormativität zusammen als „ein binäres Geschlechtersystem, das lediglich genau zwei Geschlechter akzeptiert, und das Geschlecht mit Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung gleichsetzt“. Jene Vorstellung von Mann und Frau, Männlichkeit und Weiblichkeit und Begehren ist aber nur eine von vielen. So konstatiert auch Villa nach Butler: „Frau- bzw. Mann-Sein […] sind ‘in sich instabile Angelegenheiten‘ (Butler) […] weil sie so sehr von Ambivalenzen und Unmöglichkeiten geprägt sind, dass ihre Verwirklichung quasi scheitern muss. Dies spiegelt sich u.a. darin, dass die geschlechtliche und auch die sexuelle Existenz bzw. Identität immer wieder aufs Neue performativ hergestellt werden muss.“

Die AutorInnen konstruieren eine Männlichkeit – das Gegenteil vom Schmerzensmann – als die einzig wahre, überdeuten ihr Konstrukt und sprechen Männern außerhalb dieser Vorstellung das ‚Mann-Sein‘ ab. Unreflektiert und idealisierend. Darum sprechen Philipp Leeb und Emanuel Danesch vom Verein „Poika“ von MännlichkeitEN, um damit aufzuzeigen, dass es nicht EINE Männlichkeit gibt. Nun klingt es vorerst einfach: um Männer nicht auf eine Männlichkeit zu reduzieren, geht man einfach von mehreren Männlichkeitskonstruktionen aus. Das Problem dabei erklären Leeb und Danesch auf dem Fuß: „Wer sich nicht dem Diktat einer heteronormativen Chefmännlichkeit fügt, wird – und das ist systemimmanent – sofort bewusst oder unbewusst von seinen männlichen und weiblichen Kolleg_innen sanktioniert. Es handelt sich also um ein sich selbst erhaltendes System“.

Selbst wenn alle Menschen innerhalb dieses Systems leben und es leider häufig unvermeidbar ist Schubladen-Denken, Vorurteile und Stereotypisierungen abzulegen, ist es wünschenswert oder sogar erforderlich, ein derartiges Konstrukt, wie es die Artikel nahelegen, aufzudecken, das Denken weiter zu entwickeln und nicht krampfhaft an überholten Vorstellungen festzuhalten. Artikel wie die von Pauer und Co. bedeuten einen Stillstand wenn nicht gar einen Rückschritt für unsere Gesellschaft. Es wäre wohl ein Schritt nach vorne, nicht immerzu alt eingesessene Vorstellungen davon, wie ein Mann oder eine Frau zu sein hat, zu verstärken und immer wieder aufleben zu lassen, sondern neue Vorstellungen zuzulassen, um all jenen Menschen, die nicht in dieses normative, hegemoniale Konstrukt passen, auch Platz zu geben.

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