Gender in der Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz

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Antonia Wenzl hat sich in ihrer Masterarbeit die Frage gestellt, welche geschlechtsspezifischen Auswirkungen eine geschlechtsneutral formulierte Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz mit sich bringen kann.

Was ist das Thema deiner Arbeit?

In meiner Arbeit geht es um Geschlechtergerechtigkeit im ArbeitnehmerInnenschutz, genaugenommen um Geschlechtergerechtigkeit in der Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz. Der Titel meiner Arbeit lautet: „Genderaspekte in der Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz nach § 4 ASchG“.

Gesetzlich geregelt ist der ArbeitnehmerInnenschutz im „Bundesgesetz über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit“ (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz). Die sogenannte Gefahrenevaluierung ist im § 4 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz festgelegt. Hier werden Arbeitgeber_innen dazu verpflichtet Gefahren und Belastungen am Arbeitsplatz ihrer Arbeitnehmer_innen zu evaluieren und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festzulegen.

Der Kontext, in dem der ArbeitnehmerInnenschutz geregelt ist und umgesetzt wird, ist der Sozialstaat. Er transformiert moralische Rechte auf adäquate Versorgung mit Ressourcen durch ein System von Steuern und Versicherungen in juristische Ansprüche. Der Zugang zu Ressourcen des ArbeitnehmerInnenschutzes, dazu gehören etwa Präventionsmaßnahmen, adäquate Schutzkleidung, medizinische Versorgung, aber auch die Anerkennung von besonderen Belastungen und Gefahren sowie von Berufskrankheiten und Berufsunfähigkeiten, ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Der Sozialstaat schafft ein System, das garantieren soll, dass alle Menschen, die in abhängigen Erwerbsarbeitsverhältnissen beschäftigt sind (ArbeitnehmerInnen), unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten können. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz soll ArbeitnehmerInnen davor schützen, Tätigkeiten verrichten zu müssen, die gesundheitliche Schäden zur Folge haben (könnten) oder Sicherheitsrisiken mit sich bringen (könnten).

Körperliche und/oder psychische Schädigungen, die trotz ArbeitnehmerInnenschutz durch Erwerbsarbeit verursacht werden, sind in diesem System, so lautet die gesetzlich verankerte Vereinbarung, von der Solidargemeinschaft zu tragen. Bringen wir in diese Vorstellung eines gerechten ArbeitnehmerInnenschutzes die Dimension der Geschlechtergerechtigkeit ein, so bedeutet Geschlechtergerechtigkeit im ArbeitnehmerInnenschutz, dass der Zugang zu Ressourcen des ArbeitnehmerInnenschutzes für Männer und Frauen in Erwerbsarbeitsverhältnissen gleich verteilt und damit geschlechtergerecht ist. Für die Praxis des ArbeitnehmerInnenschutzes in den Betrieben ist vor allem die Umsetzung der Gefahrenevaluierung und Festlegung von Maßnahmen relevant.

Das ist der Punkt, an dem meine Arbeit ansetzt.

Das aktuell gültige ArbeitnehmerInnenschutzgesetz mitsamt seinen Verordnungen beinhaltet so wenige frauenspezifische Schutzbestimmungen, wie noch nie zuvor in der Geschichte des österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzes. Wir verfügen also über ein weitgehend geschlechtsneutral normiertes Gesetz und ich habe mich in meiner Arbeit mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern dieses geschlechtsneutrale Gesetz in seiner Anwendung eine geschlechtergerechte ArbeitnehmerInnenschutzpraxis garantiert, oder zumindest fördert.

Was sind deine zentralen Fragestellungen?

Meine Forschungsfragen lauten:

1. Inwiefern hat die geschlechtsneutral normierte „Gefahrenevaluierung“ und „Festlegung von Maßnahmen“ nach § 4 AschG geschlechtsspezifische Auswirkungen in ihrer Anwendung?
2. Welche Ursachen für mögliche geschlechtsspezifische Auswirkungen gibt es?
3. Welche Maßnahmen können die Umsetzung einer geschlechtssensiblen Gefahrenevaluierung fördern?

Warum hast du dich für dieses Thema entschieden? / Wie bist du darauf gestoßen?

Für das Thema war ein Stipendium vom Johann Böhm Fonds des österreichischen Gewerkschaftsbundes ausgeschrieben, für das ich mich beworben habe und das ich bekommen habe. Ich habe mich auch schon davor für arbeitsmarktpolitische Themen interessiert. Neu hinzu kam für mich die rechtliche Komponente. Ein Feld, mit dem ich mich davor nur sehr wenig beschäftigt habe.

Warum hast du Gender Studies studiert?

Auf Fragestellungen und Inhalte der Gender Studies bzw. der feministischen Wissenschaft bin ich bereits während meines Studiums der Vergleichenden Literaturwissenschaft gestoßen. Das fand ich so spannend und augenöffnend, dass ich mich immer weiter damit beschäftigen wollte und musste. Als das Masterstudium Gender Studies in Wien startete, konnte ich gar nicht anders als zu inskribieren. Vor allem die Interdisziplinarität der Gender Studies finde ich unheimlich spannend. Das zeigt sich auch an meiner Masterarbeit: für mein Thema sind Aspekte der Rechtswissenschaft, der Soziologie, der Medizin, der Psychologie und der Geschichtswissenschaft relevant, um nur die wichtigsten zu nennen. Mit den Methoden der Gender Studies gelingt es, meiner Ansicht nach, das interdisziplinäre Thema ArbeitnehmerInnenschutzes zu erfassen und neue Zusammenhänge zu erschließen.

Was sind deine Methoden?

Als Untersuchungsmethoden habe ich die rechtshistorische Analyse der Entwicklung des österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzes hinsichtlich Geschlechterfragen gewählt, um nachzuzeichnen, wie sich das historisch gemachte Geschlechterverhältnis in diesem Kontext eingeschrieben hat und außerdem habe ich die Rechtspraxis der Gefahrenevaluierung und der Festlegung von Maßnahmen anhand von leitfadengestützen qualitativen ExpertInneninterviews erhoben.

Was sind deine wichtigsten Ergebnisse?

Ich stelle in meiner Arbeit die rechtshistorische Entwicklung des österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzes, mit besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung von spezifischen Schutzbestimmungen für Frauen dar. Dabei spannt die Untersuchung einen Bogen von der erstmaligen Einführung von frauenspezifischen Schutzbestimmungen Ende des 19. Jahrhunderts und den damit verbundenen Motiven und Argumenten, bis hin zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen wiederum zur Zurücknahme bzw. Auflösung frauenspezifischer Schutzbestimmung führten. In diesem Kontext erscheint mir vor allem das Ergebnis zentral, dass frauenspezifische Schutzbestimmungen im ArbeitnehmerInnenschutz häufig zu Zeiten der wirtschaftlichen Repression eingeführt wurden. Vereinfacht gesagt, wenn es von politischem Interesse war, Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, weil Arbeitsplätze ohnehin knapp waren, war der Rückenwind zur Einführung von spezifischen Schutzbestimmungen für Frauen groß und es gelang mehrfach eine parlamentarische Mehrheit dafür zu finden.

Bei frauenspezifischen Schutzbestimmungen wurde und wird auch immer auf das Thema Schwangerschaft verwiesen. Überhaupt scheint Schwangerschaft in der Evaluierung ein sehr präsentes Thema zu sein, vielmehr noch als die frauenspezifischen Schutzbestimmungen. Die Konstruktion der Frauen als „die anderen“ funktioniert im ArbeitnehmerInnenschutz sehr stark über das Thema Schwangerschaft. Die Gleichsetzung aller Frauen mit potentiellen Müttern scheint ein bestehendes Phänomen zu sein, das auch in den Interviews sehr stark thematisiert wurde. Andererseits ist die reproduktive Gesundheit von Männern und Vaterschaft im ArbeitnehmerInnenschutz und in der Gefahrenevaluierung kaum ein Thema, was von den Expert_innen auch kritisiert wurde.

Hinsichtlich der Befürwortung oder Ablehnung von Frauenschutzbestimmungen waren und sind sich aber auch Frauenorganisationen (egal welchen politischen Hintergrunds) nie einig. Das Thema wird, so würde ich sagen, auch heute noch begleitet vom Dilemma der Differenz, diskutiert. Das zeigen auch die Ergebnisse meiner empirischen Untersuchung. Alle von mir befragten Expert_innen sind sich einig, dass in der Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz die Dimension Geschlecht zum Tragen kommt und es eine Rolle spielt, ob die Arbeitsplätze von Männern oder von Frauen evaluiert werden.

Als Beispiel, warum das so ist, möchte ich auf den Kontext des geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarktes eingehen, der Unterschiede in der Gefahrenevaluierung mit verursacht oder unterstützt. Die Expert_innen thematisierten diesbezüglich verschiedene Thesen, von denen ich hier ausgewählte erwähnen möchte. So wurde zum Beispiel die These eingebracht, dass in frauendominierten Branchen der Einsatz von technischen Hilfsmitteln zur Verringerung von Gefahren und Belastungen nicht ausreichend ist und dies in der Gefahrenevaluierung zu wenig oder gar nicht berücksichtigt wird. Ein häufig hierfür herangezogenes Beispiel ist die Arbeit einer Regalschlichterin im Supermarkt, oder auch die Tätigkeit einer Kassiererin. Beide bewegen täglich ein erhebliches Gewicht, zumeist ohne Hebehilfen. Ihr körperlicher Kraftaufwand ist dabei unter Umständen genauso hoch oder höher als der eines Bauarbeiters. Das mag auch mit einer weiteren These zusammenhängen, die lautet: frauendominierte Berufsfelder gelten als haushaltsnahe Tätigkeiten und werden deshalb als nicht belastend und nicht gefährlich eingestuft (Beispiel Handel und Gesundheits- und Pflegeberufe). Daraus folgend werden Gefahren und Belastungen in frauendominierten Branchen tendenziell unterbewertet. Hier wird auch der Zusammenhang von ArbeitnehmerInnenschutz und Entlohnung deutlich.

Die beschriebenen Ursachen stellen nur eine Auswahl der vielfältigen Ursachen für geschlechtsspezifische Auswirkungen in der Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz, wie ich sie in meiner Arbeit beschreibe, dar. Die gesamten Ergebnisse können in der Arbeit nachgelesen werden, die auf der Homepage des Vereins genderraum zum Download bereit steht.

Über die Autorin:

Antonia Wenzl ist 1980 in Oberösterreich geboren und lebt seit 1998 in Wien. Sie hat Vergleichende Literaturwissenschaft und danach Gender Studies studiert. Sie arbeitet beim Verein genderraum und bloggt zu Feminismus und Muttersein unter http://feministmum.wordpress.com.

 

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