Archive2010

Ein Glas Prosecco

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Frauen und Männer essen anders, war jüngst auf diestandard.at zu lesen. Verzicht und Gemüse auf der einen Seite, Lust und dicke Steaks auf der anderen, so lautet angeblich die geschlechterspezifische Formel. Die Tatsache, dass auch Lebensmittel ein Geschlecht haben, wird mir bei jedem Restaurantbesuch aufs Neue bewusst. „Für die Dame ein Glass Prosecco und für den Herrn vielleicht ein kleines Bier?“ – die Vergeschlechtlichung beginnt spätestens beim Aperitif.

Als ich bei meinem letzten Ausflug in die Sterne-Gastronomie das Schokoladen-Dessert wählte, zwinkerte mir der Kellner zu und meinte: „Natürlich, Schokolade.“ Dass meine männliche Begleitung den Käse verweigerte und ebenfalls zur Schokolade griff, brachte offensichtlich sein Weltbild ins Wanken. Auch die Weinkarte bekommt grundsätzlich immer mein Partner überreicht, dass ich diesbezüglich über mehr Kompetenzen verfüge, wird entweder argwöhnisch oder milde lächelnd zur Kenntnis genommen.

Und warum sind Weinkellner eigentlich immer Männer? Nun ja, die sind schließlich Experten. Weinseminare boomen, wer den richtigen Tropfen zum Hirschkalbsrücken mit Speck-Schalotten empfehlen kann, hat Respekt verdient. Frauen tragen die Teller, Männer beraten die Gäste. Je mehr Hauben sich ein Restaurant erkocht hat, umso mehr Männer arbeiten im Service. Und das, obwohl in Österreich viel mehr Frauen in der Gastronomie beschäftigt sind. Bierzelte, StudentInnencafés und einfache Wirtshäuser sind Frauensache, Männer stehen hinter der Bar und hantieren mit dem Cocktail-Shaker oder referieren in Edelschuppen über Entenleberpralinen.

Ganz zu schweigen von den Küchen, die sich fest in den Händen der männlichen (!) Meisterköche befinden. „Für Frauen ist dieser Beruf wahrscheinlich zu hart“, verkündete unlängst ein solcher auf irgendeinem deutschen TV-Sender. „Männer stellen sich einfach gerne dort in die erste Reihe, wo es Ruhm und Anerkennung zu ergattern gibt“ – so oder so ähnlich versuchte eine Gourmetkritikerin das Phänomen der jungen Helden am Herd zu erklären. Vielleicht ist die Gastronomie aber auch nur ein weiteres, beliebiges Beispiel für die geschlechtliche Segregation, die jedem Grand Cru Classé einen bitteren Nachgeschmack verleiht.

Nein, wir müssen uns keine Gedanken machen…

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Die Budgetpläne der österreichischen Regierung haben die Wogen hochgehen lassen. Was sie konkret für die Situation von Frauen in Österreich bedeuten, darüber hat sich meine Studienkollegin und Gender-Expertin Betina Aumair Gedanken gemacht:

… über die laufende Budgeterstellung. Denn es wird nicht gespart an allen Ecken und Enden, sondern nur dort, wo es „sozial verträglich“ ist (SPÖ-Finanzstaatssekretär Schieder im Standard-Interview vom 24.10.2010). Auch weil sich so manche Politikerin und so mancher Politiker klar darüber sind, dass das Sparen „nicht alle happy macht“ (ebd.).

Nein, es macht nicht alle happy, im Gegenteil, vor allem deshalb nicht, weil es wieder einmal als sozial verträglich gilt, dort zu sparen, wo es in erster Linie Frauen trifft, nämlich im Pflege- und sogenannten Familienbereich. Jene Aussage, dass im Pflegebereich nicht gespart werde, sondern lediglich (!) der Zugang zum Pflegegeld der Stufe 1 und 2 „nur eine Spur erschwert“ (ebd.) werde, ist – milde ausgedrückt – Verhöhnung. Denn was außer Sparen bedeutet es, den Zugang zu monetären Transferleistungen so zu erschweren, dass im kommenden Jahr 17 Mio. Euro und bis zum Jahr 2014 insgesamt 142 Mio. Euro weniger ausgegeben werden müssen?

Diese Einsparungen werden zur Folge haben, dass sich noch weniger pflegebedürftige Menschen mobile Hilfsdienste (Essen auf Rädern, Hauskrankenpflege usw.) leisten können. Schon jetzt nimmt nur ein Viertel der Pflegegeld-BezieherInnen mobile Dienste in Anspruch. Die Hälfte der Nicht-InanspruchnehmerInnen gibt an, dass der Grund die mangelnde Finanzierbarkeit sei (Frauenbericht 2010).

Das Pflegegeld der Stufe 1 und 2 stellt mit 154,2 Euro bzw. 284,3 Euro pro Monat keine vollständige Abdeckung pflegebedingter Mehraufwendungen dar. So soll es auch nicht sein:

Das Pflegegeld stellt eine zweckgebundene Leistung zur teilweisen Abdeckung der pflegebedingten Mehraufwendungen und daher keine Einkommenserhöhung dar. Da die tatsächlichen Kosten für die Pflege das gebührende Pflegegeld in den meisten Fällen übersteigen, kann das Pflegegeld nur als pauschalierter Beitrag zu den Kosten der erforderlichen Pflege verstanden werden. Es ermöglicht den pflegebedürftigen Menschen eine gewisse Unabhängigkeit und einen (längeren) Verbleib in der gewohnten Umgebung (zu Hause).“ (help.gv.at)

Es stellt sich hier die Frage, warum das Pflegegeld nicht ein kostendeckendes sein kann? Warum den pflegebedürftigen Menschen nicht nur eine gewisse sondern eine vollständige Unabhängigkeit und trotzdem den Verbleib in der gewohnten Umgebung ermöglichen? Die Antwort ist nicht neu und liegt auf der Hand: Warum mehr Geld für Pflegedienste ausgeben, gibt es doch die Frauen, die das unentgeltlich machen. 2006 wurden 3,3 Mrd. Euro für die Pflegevorsorge ausgegeben (Frauenbericht 2010). Schätzungen gehen davon aus, dass die Kosten für die informelle Pflege, die mehrheitlich von Frauen erledigt wird, mit 3 Mrd. Euro zu beziffern sind (ebd.). Das bedeutet, dass sich der Staat mit jenen Menschen, die diese informelle Pflege leisten, die Kosten teilt.

Pflegedienste zu leisten, bedeutet in vielen Fällen das Aufgeben der Erwerbstätigkeit. Weniger als ein Drittel jener Menschen, die Angehörige pflegen, ist erwerbstätig. Vor der Übernahme der Pflege waren es etwas mehr als die Hälfte. Etwa die Hälfte der pflegenden Angehörigen hat kein Einkommen bzw. ein Monatseinkommen von unter 700 Euro netto. Von jenen, die über kein bzw. über weniger als 700 Euro netto Einkommen verfügen, sind 91 % Frauen (Frauenbericht 2010). Rund 56 % aller PflegegeldbezieherInnen sind in den Stufen 1 und 2 zu verzeichnen (Statistik Austria).

Im Familienbereich, der in Wirklichkeit ein Frauenbereich ist, da beinahe sämtliche Maßnahmen unmittelbare Auswirkungen auf Frauen, jedoch kaum welche auf Männer haben, soll beim Ausbau der Kinderbetreuungsplätze gespart werden.

2009 lag die Betreuungsquote in Kindertagesstätten der 0- bis 2-jährigen Kinder bei 15,8 %, jene der 3- bis 5-jährigen bei 88,5 % und jene der 5- bis 9-jährigen bei 15,4 % (Statistik Austria). Hand in Hand mit der Kinderbetreuungsquote in Kindertagesstätten geht jene der Erwerbstätigkeit bzw. Nichterwerbstätigkeit der Frauen. Bei Kindern unter 3 Jahren ist bei über zwei Drittel der Paare die Frau nicht aktiv erwerbstätig, sondern zu Hause. Bei weiteren rund 20 % ist die Frau auf Teilzeitbasis erwerbstätig. Die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren erfolgt also beinahe ausschließlich durch die Mütter. Erst wenn das jüngste Kind bereits 15 Jahre oder älter ist, sind die Anteile jener Paare, bei denen die Frau Teilzeit und der Mann Vollzeit arbeitet und jener Paare, bei denen die Frau und der Mann vollzeiterwerbstätig sind, wieder annähernd gleich hoch.

Müssen wir uns wirklich keine Gedanken machen?

Doch, vor allem darüber, was diese Maßnahmen im Pflege- und Familien- bzw. Frauenbereich für Frauen und Männer und das Verhältnis zwischen ihnen bedeutet:
Es bedeutet, dass sich noch weniger pflegebedürftige Menschen mobile Hilfsdienste leisten können und diese von Frauen übernommen werden müssen.
Es bedeutet, dass noch weniger Frauen erwerbstätig sein können um die Pflege der Angehörigen übernehmen bzw. um Kinder betreuen zu können.
Es bedeutet, dass noch mehr Frauen, die weiterhin erwerbstätig bleiben, einer noch größeren Belastung ausgesetzt werden.
Es bedeutet, dass der Staat wieder einen Teil seiner Aufgaben als Sozialstaat in den Privatbereich auslagert.
Es bedeutet, dass Frauen wieder einmal verstärkt an das Haus bzw. die Aufgaben im Haus gebunden werden und die Welt draußen verstärkt von Männern gestaltet werden kann.
Es bedeuet, dass Männer weiterhin unabhängig von jeglicher Familienplanung ihrer Lebensgestaltung nachgehen können.

Es bedeutet, dass Frauen nach wie vor Karriereeinbrüche hinnehmen müssen um Kinderbetreuungspflichten übernehmen zu können.
Es bedeutet, dass Frauen nach wie vor schlecht bezahlte Arbeiten und prekäre Arbeitssituationen in Kauf nehmen um zumindest in irgendeiner Form neben der Kinder- oder/und Pflegebetreuung erwerbstätig sein zu können.
Es bedeutet, dass Männer nach wie vor auf Kosten der Frauen einer Karriere nachgehen können.
Es bedeutet, dass sämtlichen Gleichstellungsversuchen von Frauen und Männern noch einmal mehr das Wasser abgegraben wird.
Es bedeuet, dass der Weg für Frauen zur Gleichstellung noch ein Stückchen länger, steiler und steiniger geworden ist.
Es bedeutet nichts Neues.
Es bedeutet, dass das Private doch politisch ist.

Gastbeitrag von Betina Aumair

Männer in Karenz

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Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat aktuell eine Kampagne gestartet, um mehr österreiche Väter dazu zu animieren, in Karenz zu gehen. Derzeit sind es verschwindend geringe 4,5 Prozent der Väter, in zehn Jahren sollen es 20 Prozent sein. 15 Jahre nach Helga Konrads „Ganze Männer machen Halbe-Halbe“ heißt es nun also: „Echte Männer gehen in Karenz„. Hier der dazugehörige Spot:

Und, spricht euch das an?

Porno-Ästhetik

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Da soll noch einmal jemand sagen, die Populärkultur wäre bereits von der Pornographie durchdrungen.
Die folgende Werbekampagne stammt aus dem Hause „Suitsupply“, einem holländischen Herrenausstatter. Ja, da berichtet sogar die Bildzeitung Online darüber und schreibt: „Diese Mode-Kampagne war Facebook zu sexy.“

Bei diesem Bild handelt es sich um ein verglichen harmloses Sujet der „Shameless“ Kampagne. Wie war das noch einmal? „Konsumentinnen und Konsumenten werden nicht mehr zum Kauf angeregt, sondern zur Übernahme eines bestimmten Lifestyles, zur Übernahme dominanter Rituale, wobei das Produkt als deren unabdingbarer Teil akzeptiert werden soll.“ (Matthias Marschick – Definition moderner Werbung in „Verdoppelte Identitäten“)

„Suitsupply is committed to doing business in an ethical and sustainable manner“, ist übrigens auf der Website des Unternehmens zu lesen.

Jungs spielen Fußball

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Die deutsche Familienministerin Kristina Schröder hat dem Spiegel ein skandalträchtiges Interview gegeben – auf der Mädchenmannschaft und dem Mädchenblog wurde der Text bereits treffend analysiert. „Ministerin Schröder rechnet mit Feminismus ab“ freut man sich da in der Redaktion des Nachrichtenmagazins. Schließlich wird Alice Schwarzer kritisiert und darauf hingewiesen, dass Partnerschaft (mit einem Mann!) und Kinder doch glücklich machen (was „der“ Feminismus schließlich ablehnt, wie wir alle wissen).

Was sich die konservative Nachfolgerin von Ursula von der Leyen ebenso wünscht, ist ein künftiger Schwerpunkt auf Jungen- und Männerarbeit. Stichwort: Bildungsverlierer junge Männer. Die größten Probleme in der Schule hätten heutzutage nämlich die Jungs aus bildungsfernen Schichten. Da hat Schröder nicht unrecht: Rein statistisch gesehen liegen Mädchen und Jungs was den Schulerfolg betrifft im Durschnitt und an der Spitze in etwa gleich auf, doch im untersten Bereich sind Buben zahlenmäßig sehr viel stärker vertreten.

Ein Männlichkeitsforscher und ehemaliger Lehrer, bei dem ich in diesem Semester einen Kurs besuche, versuchte das Problem neulich folgendermaßen auf den Punkt zu bringen: Im familiären Umfeld bildungsferner Schichten passen Vorstellungen von Männlichkeit und Lernen nicht zusammen – bei Mädchen sieht das anders aus. Was konservative Politikerinnen wie Kristina Schröder uns jedoch nahe legen, ist nicht das Aufbrechen von engen Geschlechterrollen durch eine gendersensible Pädagogik, sondern das Zementieren jener Rollenkorsetts. Mädchen interessieren sich für Ponys und Schmetterlinge, Jungs buchstabieren dann richtig, wenn beim Diktat eine Fußball-Geschichte verhandelt wird.

Solche biologistische Fehlschlüsse sind Thema zahlreicher Parodien im Netz: Das „Boys Game“ Schach wird etwa dann für Mädchen interessiert, wenn die Schachfiguren rosa Kleider tragen und nach Erdbeeren duften. Auch „Mädchen in die Technik“ Programme reproduzieren immer wieder Geschlechterklischees, anstatt die Verknüpfung von Technik und Männlichkeit(en) zu dekonstruieren. Dass solche Strategien nicht von Erfolg gekrönt sind, verwundert kaum.

Auch das immer wieder zitierte Klischee, dass die Schule grundsätzlich ein „weibliches System“ sei, ist wenig haltbar: Vieles, was nach wie vor zur Struktur des Schulalltags gehört, ist dem Militär nachempfunden, Buben beanspruchen in den Schulstunden mehr Redezeit und besetzen einen Großteil des physischen Raums (laut einer deutschen Studie ist das Verhältnis der Raumaufteilung zwischen Jungen und Mädchen in etwa 10 zu 1). Stillsitzen und brav sein, das entspreche dem „Naturell“ der Mädchen, die in der Schule die besseren Noten bekommen, lassen die Konservativen immer wieder verlauten. Dass gerade diese Verhaltensweisen von den Pädagoginnen und Pädagogen gefördert werden – daran wird nicht gedacht. Und oft sind es die selben Menschen, die den Mangel an weiblichen Führungskräften mit der fehlenden Durchsetzungskraft von Frauen begründen.

Was also fehlt, sind neue Männlichkeitsentwürfe, die sich mit Büchern und Neugier, mit kommunikativer Kompetenz und Einfühlungsvermögen vereinbaren lassen. Entgegengesetzte Bilder sind nach wie vor allgegenwärtig: Männliche Helden in Film und Fernsehen verlassen sich auf ihre Muskelkraft, brechen die Schule ab und erhalten als Belohnung schlussendlich die schöne Prinzessin. Vielleicht bangen manche Politiker_innen jedoch gerade um dieses (vom Feminismus bedrohten!) Ideal des dominanten Ernährers. Da bleibt nur der fromme Wunsch, dass in der (viel zu spät) aufkeimenden Debatte um Männlichkeiten endlich auch progressive Stimmen gehört werden.

Wochenende

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Im Rahmen ihres Vortrags an der Universität Wien wurde Evelyn Fox Keller auch zum Interview gebeten. Im Gespräch mit diestandard.at erzählt die Physikerin, warum Gender-Fragen in ihrer wissenschaftlichen Arbeit in den Hintergrund geraten sind.

Nachdem Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek die Kürzung der Familienbeihilfe in einer Presseaussendung verteidigt hatte, fordert sie nun eine Nachbesserung, „um Härtefälle zu vermeiden.“ Nachzulesen unter anderem im Interview mit dem Kurier.

Einen sehr interessanten Artikel über den Pornokonsum von jungen Männern gibt es auf „der Freitag“ zu lesen. Berichtet wird unter anderem über das erste feministische Anti-Porn Men Project. (via Helga)

Als ob wir noch einen weiteren Grund gebraucht hätten, um auf den Rücktritt von Silvio Berlusconi zu hoffen: Der italienische Regierungschef ist also nicht nur extrem sexistisch, sondern auch noch homophob. „Es ist besser, schöne Frauen zu mögen, als schwul zu sein“, ließ Berlusconi jüngst bei der Eröffnung einer Motorradmesse verlauten.
Für alle homophoben Menschen zum Mitschreiben: Heterosexualität ist nicht normal, sondern häufig.

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